Nervensystem regulieren: So kannst du zu innerer Ruhe und Stabilität zurückfinden
Nervensystemregulation ist seit Jahren in aller Munde – jedenfalls ist das mein persönliches Gefühl. Was bedeutet ein dysreguliertes Nervensystem aber eigentlich? Was heißt es für dich konkret, wenn du dich oft angespannt, innerlich unruhig oder emotional überfordert fühlst? Herzrasen, Gedankenkarussell oder das ständige Gefühl „funktionieren zu müssen“, all das und vieles mehr, kann ein Zeichen dafür sein, dass dein Nervensystem aus dem Gleichgewicht geraten ist. Keine Sorge: Du bist nicht allein und es gibt Wege, dein Nervensystem sanft wieder zu regulieren.
In diesem Artikel erfährst du:
- Was ein reguliertes und dysreguliertes Nervensystem ausmacht
- Wie die drei Teile unseres Nervensystems zusammenwirken
- Warum Sicherheit, Verständnis und soziale Bindungen so wichtig sind
- Das Konzept des Toleranzfensters nach Daniel Siegel
- Wie Dysregulation unser Denken, Reflektieren und Entscheiden beeinflusst
- 3 sofort umsetzbare Übungen, die dein Nervensystem wieder ins Gleichgewicht bringen können
Dysreguliertes Nervensystem: Wenn unser inneres Gleichgewicht ins Wanken gerät
Man könnte unser Nervensystem mit einer innere Schaltzentrale vergleichen. Es verarbeitet ständig Informationen aus unserer Umgebung und unserem Körper. Ein gut reguliertes Nervensystem erkennt, wann Gefahr besteht und wann wir uns entspannen dürfen. Gefühle, Gedanken und Körperreaktionen sind dann im Gleichgewicht und somit sind wir handlungsfähig, präsent und emotional stabil.
Ein dysreguliertes Nervensystem reagiert übertrieben oder gedämpft. Herzrasen, innere Unruhe, Überforderung, Rückzug oder das Gefühl, den eigenen Emotionen hilflos ausgeliefert zu sein, sind typische Zeichen.
Ich möchte dir hier ganz kurz und knapp zum Verständnis drei Teile unseres Nervensystems und ihre Funktion erläutern.
Das Zusammenspiel der drei Teile unseres Nervensystems
- Sympathikus – Aktivierungsmodus:
Herzschlag steigt, Muskeln spannen sich, Adrenalin fließt. Perfekt, um schnell zu handeln, wenn tatsächliche Gefahr droht. - Parasympathikus – Erholungsmodus:
Herzfrequenz sinkt, Verdauung und Regeneration werden gefördert. Wir entspannen uns, atmen durch und tanken Kraft. - Soziales/ventrales System – Verbindung und Sicherheit:
Zuständig für Nähe, Vertrauen und soziale Bindungen. Wir können kommunizieren, Mitgefühl spüren und emotionale Nähe erleben.
Wenn diese Systeme aus dem Gleichgewicht geraten, fühlt sich das Leben oft wie Achterbahnfahren an: mal übererregt, mal emotional blockiert – das Nervensystem ist dauerhaft auf einem angespannten Niveau und kann gar nicht mehr richtig runterfahren. Das kann dann zum Beispiel dazu führen, dass Panikattacken immer häufiger auftreten. Dein Nervensystem ist immer schon kurz vor dem roten Bereich und kann sich kaum noch soweit regulieren, dass du im grünen Bereich wieder auftanken kannst.
Warum dein Gehirn für das Lernen von neuen Erfahrungen Zeit benötigt und warum schnelle Tipps allein oft nicht ausreichen, kannst du im Artikel „Angst nachhaltig überwinden“ nachlesen.

Warum das Gehirn bei einem dysregulierten Nervensystem anders ``tickt``
Ein dysreguliertes Nervensystem beeinflusst direkt, wie wir denken, fühlen und handeln können. In solchen Momenten haben wir oft das Gefühl, „nicht klar denken“ oder „nicht richtig reagieren“ zu können und genau das passiert auch biologisch. Ich habe oft Klientinnen in meiner Praxis, die sich selbst die Schuld geben, dass sie in bestimmten Situationen nicht mehr handlungsfähig waren, nicht mehr reflektieren, abwägen und entscheiden konnten. Das ist aber keinesfalls ihre Schuld, sondern ein biologischer Vorgang in unserem Körper.
Unser Gehirn arbeitet auf mehreren Ebenen:
- Rationale Ebene (präfrontaler Kortex): Hier finden Denken, Reflektieren, Abwägen und Entscheidungen statt.
- Emotions- und Alarmzentrum (Amygdala, limbisches System): Hier entstehen schnelle Reaktionen auf Stress oder Gefahr.
Bei einem dysregulierten Nervensystem übernimmt oft das emotionale Alarmzentrum die Kontrolle. Die Folge:
- Weniger Zugriff auf den präfrontalen Kortex – Nachdenken und Reflektieren wird schwer.
- Entscheidungen werden überwiegend aus Gefühl und Überlebensmodus getroffen.
- Selbst kleine Reize wirken übertrieben stressig, weil das Gehirn Gefahr signalisiert, obwohl objektiv keine Bedrohung besteht.
Mit gezielten Übungen, Selbstwahrnehmung und sicheren Bindungen lässt sich das Nervensystem stabilisieren – und wir gewinnen Schritt für Schritt den Zugriff auf unser Denken, unsere Reflexion und unsere Entscheidungen zurück.
Was wir brauchen, um uns sicher zu fühlen
Unser Nervensystem sehnt sich nach Sicherheit. Erst wenn wir uns sicher fühlen, können wir klar denken, Entscheidungen treffen, Beziehungen gestalten und im Alltag präsent sein. Der Psychotherapeut und Psychotherapieforscher Klaus Grawe beschreibt in seinem Buch Neuropsychotherapie das Bedürfnismodell, das erklärt, welche Faktoren unsere innere Sicherheit und damit auch die Regulation unseres Nervensystems fördern.
Das möchte ich dir hier kurz zusammenfassen, denn Menschen brauchen vor allem drei Dinge:
- Verstehen und Kontrolle:
Unser Nervensystem liebt Vorhersehbarkeit. Wenn wir wissen, was passiert, können wir Situationen einschätzen und uns darauf einstellen. Dieses „Verstehen“ gibt uns das Gefühl, dass wir nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern aktiv Einfluss nehmen können. Selbst kleine Klarheiten im Alltag, z.B. zu wissen, wann ein stressiger Termin endet, helfen unserem Nervensystem, sich zu entspannen. - Soziale Bindungen:
Nähe, Zugehörigkeit und verlässliche Beziehungen wirken wie ein Sicherheitsnetz. Unser Nervensystem registriert sofort, wenn wir uns geborgen fühlen: Wir können loslassen, entspannen und brauchen keine ständige Alarmbereitschaft. Verlässliche Bindungen geben uns das Signal: „Du bist nicht allein, du bist geschützt.“ - Selbstwirksamkeit:
Die Fähigkeit, eigene Ziele zu verfolgen und bewusst zu handeln, vermittelt Kontrolle und Stabilität. Wenn wir erleben, dass unsere Handlungen Wirkung zeigen, wirkt das beruhigend auf das Nervensystem. Wir spüren, dass wir nicht bloß reagieren, sondern gestalten können.
Diese drei Faktoren – Verstehen, soziale Bindungen und Selbstwirksamkeit – bilden zusammen ein stabiles Fundament, auf dem sich unser Nervensystem sicher fühlen kann. Fehlt eines dieser Elemente, steigt das Risiko für eine Dysregulation: Wir reagieren stärker auf Stress, sind schneller überreizt oder ziehen uns zurück.

Vom Bedürfnismodell zum Toleranzfenster
Bei der stärkeren Reaktion auf Stress setzt das Konzept des Toleranzfensters nach Daniel Siegel an. Es beschreibt den Bereich, in dem wir Emotionen, Reize und Stress gut verarbeiten können. Innerhalb dieses Fensters fühlen wir uns ruhig, handlungsfähig und verbunden. Alles, was darüber oder darunter liegt – also Übererregung oder Untererregung – signalisiert unserem Nervensystem: „Alarm! Gefahr!“ Wir geraten in eine Dysregulation.
Unser Ziel ist es, das Toleranzfenster zu erweitern:
- Durch Selbstwahrnehmung: Indem wir lernen, unsere körperlichen und emotionalen Signale bewusst wahrzunehmen.
- Durch kleine Übungen: Bewegung, Atemtechniken oder Übungen wie der Gedankenstopp helfen dem Nervensystem, wieder in die Balance zu finden.
- Durch sichere Bindungen: Unterstützung und vertrauensvolle Beziehungen stabilisieren das Nervensystem zusätzlich.
Wenn diese drei Elemente zusammenspielen, fühlen wir uns auch in herausfordernden Situationen sicher und handlungsfähig. Unser Nervensystem bleibt reguliert und wir können klar denken, reflektieren und rationale Entscheidungen treffen.
3 Übungen, um dein Nervensystem sanft zu regulieren
Du kennst es vielleicht bereits aus meinen anderen Blogartikeln: Es gibt immer auch gleich ein paar Tipps und Tools, die du für dich ausprobieren kannst. Deshalb folgen hier nun 3 Übungen, wie du deinem dysregulierten Nervensystem zurück in die Entspannung helfen kannst.
Dies sind nur drei kleine Möglichkeiten. Nervensystemregulation ist ein weites Feld, aber probiere diese drei Übungen doch einfach einmal für dich aus und beobachte, was sich verändert.
- Spannung abbauen: Sitzschaukeln auf den Sitzknochen
Setze dich auf den Boden, winkle die Beine an und lege die Fußsohlen aneinander. Schaukel dich sanft auf den Sitzknochen hin und her.
Warum es wirkt:
Die leichte Bewegung aktiviert das parasympathische System, löst Verspannungen in Rücken, Becken und Hüfte und signalisiert dem Nervensystem: „Alles gut, du bist sicher.“
- Gedankenstopp: Den Gedanken kommen und gehen lassen
Wenn störende Gedanken auftauchen, nimm sie wahr und sage innerlich:
„Ich höre dich, aber ich entscheide mich jetzt dazu, diese Gedanken nicht weiterzuspinnen. Du darfst kommen und gehen.“
Warum es wirkt:
Du trainierst dein Toleranzfenster, bleibst präsent und lernst, dass Gedanken da sein dürfen, ohne dein Wohlbefinden zu bedrohen.
- Bewegungsimpulse wiederentdecken: Oberkörper schwingen
Setze dich aufrecht hin, schließe die Augen und spüre, welche Bewegungen dein Körper möchte. Lass den Oberkörper intuitiv nach rechts, links, vorne und hinten schwingen.
Warum es wirkt:
Diese Übung aktiviert natürliche Bewegungsimpulse, beruhigt das Nervensystem und lässt dich wieder bewusst auf deine körperlichen Signale hören.
Weitere Übungen findest du z.B. im Artikel „Panikattacken verstehen: Was im Nervensystem passiert“
Dein Nervensystem reagiert nur auf Signale, die es als gefährlich empfindet. Das heißt nicht, dass mit dir etwas „nicht stimmt“. Mit kleinen, gezielten Übungen, Selbstwahrnehmung und sicheren Bindungen kannst du deinem Körper zeigen: „Du bist sicher, du bist okay.“ Du lernst Schritt für Schritt, wieder in deinem Toleranzfenster zu bleiben und dich in deinem Körper und Alltag stabil zu fühlen.
Wenn du Lust hast, kannst du direkt starten: Probiere die drei Übungen heute aus, spüre bewusst in deinen Körper hinein und beobachte, wie sich Ruhe und Verbindung langsam einstellen.
Fazit: Dein Nervensystem wieder in einen regulierten Zustand zu bringen ist möglich
Wenn du Lust hast, noch tiefer in das Thema Nervensystemregulation einzutauchen, bleib dran: In einem nächsten Blogartikel werde ich weitere konkrete Wege vorstellen, wie du dein Nervensystem gezielt regulieren kannst.
Wir schauen uns an, wie Top-down-Strategien – also über bewusste Gedanken, Atmung und Selbstwahrnehmung – und Bottom-up-Strategien – also über Bewegung, Körperwahrnehmung und Sinnesreize – wirken und wie du sie im Alltag direkt einsetzen kannst, um dein Nervensystem stabil zu halten.
Bleib gespannt, es wird praktisch, verständlich und sofort umsetzbar!
Wenn du mehr Übungen und Wissen rund um Panik, Ängste und Selbstregulation haben möchtest, melde dich gern zu meinem Newsletter an oder buche ein kostenloses Kennenlerngespräch – gemeinsam finden wir Wege, dein Nervensystem langfristig zu stärken.
Du musst da nicht alleine durch, gemeinsam schaffen wir das.